Kleine Stadtgeschichten
Eine Kolumne von Markus Runte
"Kleine Stadtgeschichten aus Paderborn"
Für das Westfälische Volksblatt schreibt Museumsmitarbeiter Markus Runte seit 2019 in einer Kolumne, die monatlich erscheint, wissenswertes aus der über 1200jährungen Stadtgeschichte Paderborns.
#1 Die astrologische Pendeluhr im Rathaus
#1 Die astrologische Pendeluhr im Rathaus
Es ist wieder soweit, im März ist bekanntlich nicht nur der kalendarische Frühlingsbeginn, sondern es werden erneut die Uhren umgestellt. Wie jedes Jahr aber frage ich mich, wie viele von Ihnen bestimmt auch, folgendes: Wird die Uhr eine Stunde vor- oder zurückgestellt, geht der Wecker morgens eine Stunde früher oder bekommen wir eine Stunde am Morgen geschenkt? Ich kann es mir einfach nicht merken. Früher begannen die Tage auch in Paderborn ganz einfach mit dem Aufgang der Sonne und beendeten diese mit dem Sonnenuntergang.
In manchen Städten gab es sogar unterschiedliche angezeigte Tageszeiten, weil man sich eben nach dem Sonnenstand richtete, wie zum Beispiel in Italien, wie ich neulich lesen konnte. Im späten 19. Jahrhundert waren die Uhren in italienischen Städten noch lange nicht gleichgeschaltet, jede Stadt entschied anhand von Sonnenauf- und Sonnenuntergang eigenmächtig, wie spät es war. Für die Stadtbevölkerung war das kein Problem. Erst mit dem Beginn des Zugverkehrs und die daraus folgende Notwendigkeit, überregional gültige Fahrpläne zu erstellen, führte das zur Synchronisation der Uhren, auch in Deutschland.
Damals, im 19. Jahrhundert also, gab es noch keine Diskussion über Sommer- oder Winterzeiten. Erstmalig überhaupt hielt die „mechanische Zeit“ im Jahr 1878 Einzug in das Rathaus. Eine vom Berneburger Uhrmacher Johann Ignaz Fuchs hergestellte astronomische Pendeluhr mit einem über vier Meter hohen Gehäuse war eine kleine Sensation für die Stadt- und Landbevölkerung und ein Novum für die damalige Zeit. Sie wurde als Sehenswürdigkeit in zahlreichen Reiseführern gerühmt, denn neben Bernburg war Paderborn die einzige Stadt, die solch eine Uhr besaß.
Für die Paderborner war die mit zahlreichen technischen Raffinessen ausgestattete Uhr ein kleines Kunstwerk, denn sie zeigte nicht nur die heimische Tageszeit, sondern auch aktuelle Uhrzeiten von Weltstädten wie Konstantinopel, New York, Athen, Mexiko, Kalkutta, Peking und vielen weiteren an. Eine Sternzeituhr verbildlichte zudem den Verlauf des Mondes, der als einfache Kugel dargestellt war und die Phasen des Himmelskörpers im Ab- und Zunehmen versinnbildlichte. Ein Kalendarium vermittelte im weiteren in einem Vierjahres-Zyklus den Verlauf der Schaltjahre. Alles war im Fluss der Zeit. Die Pendeluhr war viele Jahre ein fester Bestandteil der städtischen Sehenswürdigkeiten, bis sie durch die Bombenangriffe am Ende des Zweiten Weltkriegs zerstört wurden.
Wie wir auch heute achtsam mit der Zeit und unserer Lebenszeit umgehen sollten, mahnte damals ein Sinnspruch die Paderborner den im Umgang mit ihrer Zeit, denn auf einem Messingschild auf der Pendeluhr war zu lesen: „Wer hier am Ort geht ein und aus, nehme Mahnung von mir mit nach Haus: Laßt nutzlos nie den Tag vergehen, die Zeit sagt nicht auf Wiedersehen.“
#2 TriePad – Das Paderborner Zweirad mit dem Drei-Hasen-Emblem
Das Osterfest steht vor der Tür und der Frühling ist da, wie wäre es mit einer kleinen Fahrradtour durch das Paderborner Land? Schon jetzt kann man an der blauen Pader zahlreiche Radfahrer beobachten. Auffällig sind dann manche Fahrräder, die eines kleines Drei-Hasen-Emblem auf dem vorderen Schutzblech haben. Kenner wissen dann sofort: hier handelt es sich um ein original Paderborner TriePad aus den 1930er Jahren. Wer aber hat´s erfunden.
Anfang 1920 hatten drei Brüder der Familie Trienens die Idee, Fahrräder in Paderborn zu verkaufen. Eine erste Verkaufsstelle mit einer Reparaturwerkstatt eröffnete Johann Trienens zusammen mit seinen Brüdern Franz und Anton im heutigen „Schildern“, in der sie Fahrräder der Marke „Brennabor“ verkauften und reparierten. Im Erdgeschoss befand sich der Verkaufsladen, die erste Etage war für die Montage der Räder angemietet und im Hinterhof war eine Reparaturwerkstatt untergebracht.
Die Geschäfte liefen gut, die Paderborner fuhren auch damals schon gerne mit dem Rad. Bereits Anfang der 1930er Jahre konnten die Trienens-Brüder in der Heiersstrasse eine weitere Geschäftsstelle für Fahrräder eröffnen. Eine Begegnung zwischen Johann Trienens und dem Inhaber der Fahrradwerke „Meister“ in Bielefeld, Erhard Doppelt, gab den Anstoß, eigene Fahrräder zu bauen. Doppelt erklärte sich bereit, für Trienens die Fahrradrahmen zu liefern. Der Name „TriePad“ wurde ins Leben gerufen und es begann die Geschichte eines der erfolgreichsten Unternehmen in Ostwestfalen.
Die Werbung lief über Kleinanzeigen in ländlichen Zeitschriften, wie „Der Dom“, den Paderborner Tageszeitungen und durch Werbebroschüren, in denen die Räder angepriesen wurden. Schon bald wurden die Markenräder mit dem originellen und unverkennbaren „Drei-Hasen-Emblem“ aufgrund der hohen Qualität deutschlandweit verkauft. Bis zum Kriegsbeginn 1939 war der Name „TriePad“ in ganz Deutschland zum Begriff geworden: Hohe Qualität – niedriger Preis!
Nach dem Krieg entstand 1949 in der Rathenaustraße ein neuer großer Firmenkomplex mit Montage- und Lagerhallen sowie Büroräumen. Eine neue Verkaufsstelle für Tripad-Räder kam in der Westernstraße hinzu. Hier standen den Paderborner und interessierten Kunden mehr als 50 Fahrräder in verschiedenen Farben zur Auswahl. Trienens war in dieser Zeit das modernste und größte Fahrrad-Fachgeschäft in Ostwestfalen. 1972 musste die Firma ihre Pforten schließen, die Konkurrenz anderer Zwei-Radanbieter war zu groß geworden, auch wurden Roller und Mopeds, gerade bei der Jugend, immer beliebter.
Sollte Ihnen jetzt bei einer Ihrer nächsten Fahrradtouren durch das Paderborner Land ein Zweirad mit einem originellen Drei-Hasen-Emblem auffallen, so werden Sie wissen: dieses Rad ist ein original TriePad-Fahrrad aus Paderborn.
#3 Der Neptun vom Markt
Der Frühling ist da und auf dem Marktplatz sprudelt wieder das Paderwasser im Neptunbrunnen, den der Paderborner Bildhauer Josef Rikus (1923-1989) im Jahr 1979 für den Platz geschaffenen hat. Neptun, Gott der fließenden Gewässer und der springenden Quellen, ist ein wichtiges Symbol für unsere Stadt an den Quellen. Der moderne Brunnen ist heute ein beliebter Treffpunkt an sonnigen Markttagen und ein faszinierendes Wasserspiel für Kinder.
Nur wenige wissen es - er erzählt ein wechselvolles Kapitel unserer Stadtgeschichte, denn bereits seit 1730 stand ein Neptunbrunnen auf dem Marktplatz am Dom. Dieser erste, unter Fürstbischof Fürstenberg errichtete Brunnen, findet sich im Jahr 1590 zunächst im Innenhof des Schlosses in Neuhaus. Da der Brunnen aber das Durchfahren des Schlossgartens behindert, lässt Fürstbischof Clemens August ihn 1729 demontieren. Er schenkt ihn dem Paderborner Domkapitel – nicht ohne Eigennutz, denn bei seinem ersten Besuch der Domstadt war er entsetzt von den hygienischen Zuständen auf dem Marktplatz mit turmhohen Misthaufen, grunzenden Schweinen und darin spielendenden Kindern, vom Gestank ganz abzusehen. Mit dem neuen Brunnen und dem sauberen Wasser sollte nicht nur die Stadt reiner werden, sondern auch die Bevölkerung „reinlich und sauber vor Gott“ erscheinen, so sein Ansinnen.
Die Stadt wurde ebenfalls in die Pflicht genommen und sollte sich an den Kosten der Wasserzuleitung beteiligen. Zunächst war der Stadtrat von der Brunnenanlage nicht überzeugt und es kam zum Streit zwischen Stadt und Kirche, der erst 1730 beigelegt werden konnte. Erst dann konnte der nun von beiden Instanzen finanzierte, mit Wasserzuleitung und einer neuen Figur versehene Brunnen auf dem Marktplatz aufgestellt werden. Als Kump und Wassergott wurde der Brunnen in über 200 Jahren seiner Beständigkeit ein wichtiges Symbol für die Stadt, bis ihn ein Bombenangriff am Ende des Zweiten Weltkriegs im Januar 1945 unwiederbringlich zerstörte.
Jahrelang blieb der Domplatz danach leer, viele Paderborner sehnten sich nach „ihrem alten Neptun“. Eine Bürgerinitiative machte sich 1976 auf den Weg, ein neues Brunnenensemble mit einer Neptunfigur auf dem Domplatz zu finanzieren. Zur 1200-Jahrfeier Paderborns 1977 sollte das alte Wahrzeichen der Stadt in moderner Art und Weise wieder auferstehen. Es wurde ein Wettbewerb ins Leben gerufen, 29 Bildhauer aus der gesamten Bundesrepublik beteiligten sich, darunter auch der Paderborner Künstler Josef Rikus, der am Ende mit seiner Idee die Jury überzeugen konnte. Aber es dauerte noch zwei weitere Jahre, bis die Initiative unter dem Vorsitz von Dr. Volker Werb den neuen Brunnen der Stadt im April 1979 übergeben konnte.
Auch die Befürworter der alten Brunnenanlage können sich heute wieder freuen: bei den Aushubarbeiten 1978 kamen Einzelteile des historischen Neptunbrunnens fast unversehrt wieder zum Vorschein. Der historische Brunnen kann nun als Teilrekonstruktion im neuen Residenzmuseum bewundert werden. Er hat sozusagen seinen Weg an seinen alten Standort in Schloß Neuhaus zurückgefunden.
#4 Das Eiscafé Favretti
Der Sommer 2019 ist da und viele nutzen in diesen Tagen kleinere Auszeiten, um die Sonne und das Flair unserer Stadt mit einem Eis zu genießen. Damals, nach dem Zweiten Weltkrieg und in der Zeit des Wiederaufbaus Paderborns, war das in dieser Art und Weise nicht gleich selbstverständlich. Dass es aber später wieder in Mode kam, beim Eis oder Kaffee „sehen und gesehen“ zu werden, hatte Italo Favretti maßbeglichen Anteil daran. Ende 1950 eröffnete er in der Westernstraße das „Eiscafé Favretti“. Wie aber hatte damals alles angefangen?
Italo Favretti hatte im Eis-Geschäft bereits früh erste Erfahrungen gesammelt. Zusammen mit seiner Frau Maria hatte er 1939 in Schwerin-Mecklenburg eine eigene Eisdiele geführt. Während des Krieges wurde Italo eingezogen und kam in englische Kriegsgefangenschaft, seine Familie musste Deutschland verlassen. 1945 gelangte er zurück in seine Heimat nach Forno di Zoldo in den Dolomiten. Hier verbrachte er die Nachkriegsjahre, wo er seinen Eltern in einem Lebensmittelgeschäft zur Hand ging. Sein Traum war, sich eines Tages in Deutschland wieder selbstständig machen zu können.
Um ein geeignetes Geschäft zu finden, bereiste Italo Favretti Anfang 1950 ganz Deutschland, und er fand in Paderborn seinen geeigneten Ort. Der Anfang war nicht leicht, die Folgen des Krieges waren auch hier noch immer an jeder Straßenecke zu sehen und zu spüren.
Auf dem Grundstück der Junfermannschen Verlagsbuchhandlung in der Westernstraße bekam Favretti Ende 1950 in einem Zweckbau die Möglichkeit, sein Eiscafé zu eröffnen. Die Paderborner empfingen die neuen Gastarbeiter allerdings zunächst mit Argwohn. Dichte Vorhänge mussten an die Schaufenster des Cafés angebracht werden, weil die Kunden nicht gesehen werden wollten. Eis in der Öffentlichkeit zu essen schien damals etwas Sündhaftes zu sein, die neu gewonnene Freizeit musste nach den Entbehrungen des Krieges erst wieder gelernt und akzeptiert werden. Die ersten, die sich ein Eis erlaubten, aßen dieses sogar manchmal heimlich im nächsten Hauseingang um die Ecke.
Favretti veränderte sich weiter. Er vergrößerte die Schaufenster, entfernte die dunklen Vorhänge und brachte Licht in sein Eiscafé. Die Paderborner begannen langsam, sich in der Öffentlichkeit wohl zu fühlen. Als dann die Fußgängerzone in Westernstraße angelegt wurde, war Italo Favretti einer der ersten, der Tische und Stühle nach draußen stellte und Leben auf die Straße brachte. Alles hatte sich geändert: Nun wollten die Paderborner sehen und gesehen werden! Als Italo Favretti 1991 starb, führte sein Sohn Gianpietro die Eisdiele weiter, bis dieser sich 1992 nach Italien zurückzog. 1993 übernahm Ottavio Romor das Traditionscafé und führte es im Sinne der Favrettis weiter. Mit Ablauf der Saison im Oktober 2001 musste das Paderborner Traditionsunternehmen in der Westernstrasse seine Eisproduktion einstellen und einem großen Kaffeeröster weichen. Über 50 Jahre lang hatte der Eissalon nicht nur das Flair der Einkaufsstraße, sondern ein Lebensgefühl der Paderborner mitgeprägt.
#5 Libori, Libori…
Libori – in diesen Tagen schallt es wieder aus allen Winkeln unserer Stadt, über Plätze, Alleen und Wege hinweg. Es ist das größte Fest im Paderborner Jahreskalender und eines der bedeutendsten deutschen Volksfeste mit einem geschichtlichen Hintergrund. So wie der Eifelturm für Paris steht, ist Libori ein Begriff, der nur mit Paderborn in Verbindung gebracht werden kann: neun Tage Kirmes, Kirche und Kultur mitten in der Stadt. Aber was genau steckt eigentlich dahinter?
Namensgeber und Ursprung gehen zurück auf den Heiligen Liborius, der im 4. Jahrhundert Bischof von Le Mans war. Im Rahmen der Christianisierung der Sachsen galt die Reliquientranslation in die Missionsgebiete als wichtiger Bestandteil. Daher erbat Paderborns zweiter Bischof Badurad (vor 785-862) vom Bischof Aldrich von Le Mans die Gebeine eines Heiligen. Im Jahre 836 erfolgte dann die feierliche Übertragung der Reliquien des Heiligen Liborius aus Le Mans an die Pader.
Zur Ehrung des Heiligen Liborius findet daher alljährlich das Liborifest im Juli statt. Es beginnt am 23. Juli, falls dieser ein Sonntag ist, sonst beginnen die Liborifestlichkeiten am Sonntag darauf. Die kirchlichen Feierlichkeiten beginnen mit der Erhebung der Reliquien des heiligen Liborius am Samstag vor dem ersten eigentlichen Festtag, danach ruhen sie bis zum darauffolgenden Dienstag im vergoldeten Liborischrein im Chor des Domes.
Erste Angaben über ein Liborifest sind aus dem 13. Jahrhundert bekannt, bis dahin war Libori eher Wallfahrts- und nicht Festgeschichte. Die heutige Form der Feierlichkeiten entwickelte sich erst in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts.
Neben der Heiligenverehrung charakterisieren die Kirmes am Liboriberg und der traditionelle „Pottmarkt“, der sich immer mehr ab Mitte des 19. Jahrhunderts auf dem kleinen Domplatz etablierte, das beliebte Paderborner Volksfest. Die Händler des Pottmarkts boten auch damals schon den Paderbornern und seinen Gästen eine große Warenvielfalt an, zeittypische Gebrauchsgegenstände vom Korbmöbel bis zum Schnürsenkel, vom Topf bis zum Teller sowie Dinge des täglichen Bedarfs, die auch heute noch Klassiker des typischen Pottmarkts sind. Die zahlreichen Gebrauchswaren aus Steingut, Porzellan und Emaille waren gut sichtbar auf der der Wiese, später auf Stroh, Holzwolle oder Decken ausgebreitet. Als besonders qualitätsvoll wurde das „echt Bunzlauer Geschirr“ geschätzt, das lange haltbar und hitzebeständig war. Unter den Angeboten fanden sich auch eine Fülle von Luxusartikeln, die wohl viele Wünsche geweckt und einige Geldbeutel geleert haben müssen, wie gute Herren- und Damenbekleidung, ungewöhnliche Schmuckstücke und chinesische, japanische und orientalische Waren. Der beliebte Pottmarkt auf dem kleinen Domplatz verdeutlicht auch heute noch die lange Geschichte des beliebten Festes in allen Jahrhunderten.
Viele Besucher und Einheimische schätzen die Vielfalt des Marktes, die Kirmes und die zahlreichen weltlichen und kirchlichen Angebote, die täglich von den Glocken des Doms feierlich begleitet werden und verdeutlichen: Libori ist in der Stadt.
#6 Wie es damals so war… Paderborn im Jahr 1672
Wer sich heute der Stadt Paderborn nähert wird bemerken, dass die markante Stadtsilhouette sich über die vergangenen Jahrhunderte kaum verändert hat. Auch heute noch prägen insbesondere die hohen Türme der Kirchen das Bild unserer Stadt. Wie es damals im Jahr 1672 ausgesehen hat, zeigt der bekannte Barockmaler Johann Georg Rudolphi (1633-1693) in einem Kupferstich.
Der Künstler blickt in diesem vom Ufer der Pader aus auf ein recht idyllisches Paderborn, das vor der mittelalterlichen Stadt von Viehweiden, Wiesen und Feldern umgeben ist. Auf der belebten Straße befinden sich Menschen, die aus der Stadt kommen oder auf dem Weg dorthin sind. Über eine Steinbrücke, die über die Pader führt, verläuft der Weg von hier aus in Richtung des Neuhäuser Tores. Aus dem Häusergewirr der Stadt erheben sich der Dom und die Kirchen. Wichtige Stadttore und Bauten hat Rudolphi nummeriert und diese am unteren Bildrand für den Betrachter erklärt. In der rechten Bildecke ist die Quellallegorie der Pader zu sehen. Das Spruchband Fontes Paderae, seu Paderborn im oberen Bildbereich weist auf die Quellen der Pader hin, auf das, was unsere Stadt im Besondern auch heute noch auszeichnet.
Die Stadt selbst stellt Rudolphi wenig maßstabgetreu, dafür aber äußerst detailliert dar. Hinter der mittelalterlichen Stadtmauer erheben sich inmitten der dichten Bebauung der Dom und die zahlreichen Kirchen. Von links nach rechts sind die Busdorfkirche, der Dom mit dem dahinterliegenden spitzen Turm der Gaukirche, die zweitürmige Abdinghofkirche, den Turm des Jesuitenkollegs sowie die im Jahr 1784 abgerissene Marktkirche dargestellt.
Paderborn war, wie auch viele andere Städte um 1700, eine Stadt mit einer einfachen Bebauung. Die Situation der Stadt im Jahr 1718 gibt ein Bericht über eine Reise zweier Benediktinermönche wieder, die mit hohen Erwartungen nach Paderborn gekommen waren. Sie hatten sich Paderborn als eine „blühende, prächtige Stadt mit Palästen, herrlichen Kirchen und Klöstern“ vorgestellt, wurden aber herb enttäuscht, als sie bei ihrer Ankunft „daselbst nur elende Häuser und schmutzige, zum Teil ungepflasterte Straßen antrafen. Der Reichtum und die Schönheit des Domes, die kostbaren Reliquien versöhnten sie indes mit dem armseligen Paderborn“, wie der Reisebeschreibung zu entnehmen ist. Heute ist die Stadt natürlich eine ganz andere.
Johann Georg Rudolphi war einer der bedeutendsten Barockmaler des Paderborner Bistums und wurde um 1633 in Brakel geboren. Er wirkte als Maler und als Vorlagenzeichner für Kupferstecher. Über seine Ausbildung und über seine Lehrer ist wenig bekannt, geläufiger sind hingegen seine Motive des Paderborner Landes. Sie illustrieren die „Monumenta Paderbornensia“ des Fürstbischofs Ferdinand von Fürstenberg, für die er insgesamt 28 Vorlagen für Kupferstiche erstellt hat, wie diese Ansicht auf Paderborn.
Wie die Stadt sich über die vielen Jahrhunderte verändert hat, zeigen zahlreiche Gemälde und Zeichnungen aus über fünf Jahrhunderten am Bilderturm im Stadtmuseum ebenso wie ein sich lohnenswerter Stadtsparziergang durch das neu angelegte Paderquellgebiet, probieren Sie es aus!
#7 Es werde Licht! Die Gründung der Paderborner Gasanstalt 1854
Es werde Licht in Paderborn – so wünschten es sich einige Bürger im Jahr 1854 und setzten diesen Wunsch mit der Gründung der Gesellschaft der „Gas-Compagnie“ um. Mit der Herstellung von Gas für die Erzeugung von Licht sollte auch in Paderborn die Moderne Einzug halten. Es war der Ingenieur Roderich Dullo, der den Anstoß zur Gründung der Gesellschaft und den Bau einer Gasfabrik gab. Das erforderliche Kapital brachte er mit anderen Bürgern der Stadt auf. Die Königliche Regierung genehmigte am 4. August 1854 die die Errichtung eines Werkes an der Bahnhofstraße, das seinen Betrieb bereits im darauffolgenden Dezember aufnehmen und Gas für 300 Leuchtflammen in Privathaushalte liefern konnte.
Für die Paderborner war es ein Novum, schwelten doch bis dahin in ihren Häusern Dochtöllampen und Talgkerzen, die nur begrenzt Licht gaben. Auch konnten nur wenige Straßen in den Abendstunden von Öllaternen beleuchtet werden und begrenzt für Sicherheit sorgen, denn mit Beginn der Nacht, spätestens um 22 Uhr, wurden diese gelöscht. Die Arbeit des Tages musste, je nach Jahreszeit, mit Beginn der Dunkelheit beendet.
Mit der Nutzung von Gas, das aus der Trockendestillation von Kohle gewonnen wurde, änderte sich vieles, auch im Stadtbild. Die Paderborner Stadtvertreter ließen im Winter 1855/56 ihre Öllaternen, die im Bereich der Gasrohrleitungen lagen, auf den neuen Energieträger umstellen. Die Straßen erschienen aufgrund der neuen Leuchtintensität und der nun dauerhaften Nachtbeleuchtung in einem ganz neuen Licht. 1856 konnte die Eisenbahn als weiterer Abnehmer hinzugewonnen werden. Zudem stellten immer mehr Privat- und Geschäftsleute, die es sich leisten konnten, auf die neue Beleuchtungsart um. Die Geschäfte der „Gas-Compagnie“ florierten.
Bereits 1861 aber begann sich bei einigen Bürgern der Stadt Unmut gegen das Monopol der Gesellschaft zu regen, öffentlich forderten sie, die hohen Gaspreise zu senken. Es wurde überlegt, eine zweite Gasanstalt, die einen Konkurrenzkampf zum Vorteil der Gasabnehmer auslösen sollte, zu errichten. Mittlerweile war das Gas, das für viel Erleichterungen im Alltag sorgte, nicht mehr wegzudenken.
Die Stadt, die ebenfalls von der neuen Technik profitierte, wollte der gesamten Bevölkerung die Möglichkeit verschaffen, zu gerechten Preisen Gas beziehen zu können. Nach zahlreichen Verhandlungen mit der Gasgesellschaft übernahm sie am 1. September 1866 die Fabrik unter Zuhilfenahme von Aktien, die sie an Gasabnehmer ausgegeben hatte. 1872 wurden diese mit einem Aufgeld zurückgekauft, die Stadt wurde Alleineigentümerin des Werkes.
Die Angebote wurde weiter ausgebaut, das Gas diente nun auch für den Betrieb von Motoren, um die Jahrhundertwende kamen Geräte zum Kochen, Backen sowie zur Raumheizung und Bereitung von Badewasser hinzu.
Für die vielen neuen Erfordernisse wurde der Platz des Gaswerkes an der Bahnhofstraße zu klein. Als ein größerer Gasbehälter erforderlich war, wurde der Neubau einer Gasfabrik am Bischofsteich beschlossen, die 1898 in Betrieb genommen werden konnte. Mit dem Wiederaufbau der Fabrik nach dem Zweiten Weltkrieg liefen die Geschäfte schon 1946 langsam wieder an. 1953 folgte der Bau eines zweiten und größeren Gasbehälters. Über viele Jahrzehnte hat er die Stadtsilhouette geprägt, wie die Fotografie von Kalle Noltenhans eindrucksvoll zeigt. Mit der Nutzung des neu entdeckten Erdgases wurde die Eigenproduktion von Gas 1965 beendet. Erst 1989 wurde der letzte Gasbehälter abgerissen, damit war ein Stück Paderborner Zeit- und Industriegeschichte unwiederbringlich beendet. Heute stehen hier, gegenüber den Paderborner Stadtwerken, eine Dreifach-Sporthalle und ein Parkhaus am Rolandsweg.
#8 Was bewegt Paderborn… im Dezember 1953? Skizzen einer Stadt.
Das Jahr 2019 neigt sich langsam dem Ende zu, erneut hat sich auch in den letzten Wochen und Monaten vieles in Paderborn verändert. „Alles fließt, die Welt ist kein Zustand, sondern ein Vorgang, eine Stadt kein Gegenstand, sondern ein Geschehnis, dessen Anfang manchmal bekannt ist, dessen Ende in den Sternen steht“, so beschreibt Autor Manfred Sack 1983 die stets fortlaufende Zeit in einem Bildband über Paderborn. Wenn es um Paderborns Stadtgeschichte geht, schaut man gerne zurück, in dieser Kolumne auf den Dezember des Jahres 1953. Was hat die Menschen in Paderborn in den letzten Wochen und Tagen in dieser Zeit bewegt, wie war Stimmung oder das Wetter vor mehr als 60 Jahren? Einige interessante Ereignisse sollen hier wiedergegeben werden.
In den ersten Dezembertagen geht es erstmal „rund“ in Paderborn. Am Westerntor wird der neue Kreisverkehr freigegeben. Wenn man nun von der Westernstraße in die Wilhelmstraße (heute Le-Mans-Wall) einbiegen will, muss man sich von jetzt immer erst rechts halten, genügend Pfeile weisen die Verkehrsteilnehmer darauf hin. Allerdings gehen an dem ersten Tag insgesamt sieben Fahrradfahrer, zwei Autos und zwei Radfahrer das Wagnis ein, in die Gegenrichtung, nach links abzubiegen, anstatt den neu vorgeschriebenen Rundweg einzuschlagen. Ein paar Tage aber später läuft der Verkehr endlich „rund“.
In den ersten Dezembertagen 1953 ist es in Paderborn verhältnismäßig mild. Der Kohlemarkt gerät durcheinander, die Zulieferer bleiben auf ihren Briketten sitzen. Zur Weihnachtszeit sollen vor dem Bahnhof, dem Rathaus und auf dem Marktplatz große Weihnachtsbäume aufgestellt werden. Ab dem 13. Dezember, so schreibt die Presse, werden die Bäume erstmalig im Lichterglanz erscheinen.
Die Paderborner kaufen bei herrlichem Sonnenwetter und frühlingshaften Temperaturen auf dem Advents-Wochenmarkt ein. Kurz vor dem Nikolaustag sind Mandarinen und Klementinen, die auf dem „Südfruchtmarkt“ am Domplatz angeboten werden, gefragt. An diesem Markttag stehen Weihnachtsgänse erstmalig im Angebot. Acht Jahre nach Kriegsende geht es den Menschen wieder besser.
Um zarte Singvögel geht es ein paar Straßen weiter im Restaurant „Zur Flotte“. Der Paderborner Kanarienzuchtverein feiert seinen Jahrestag mit einer Ausstellung von Zuchtvögeln aller Art. Viele Züchter sind vor Ort und bringen einem interessierten Publikum ihr „gutes Vogelmaterial“ näher. Vogelbesitzer Klaus erhält am Ende für den harmonischen Gesang seines Singvogels den ersten Preis.
Hermann Tölle, 1896 in Paderborn geboren, weitgereister Schriftsteller und Funkjournalist, kehrt nach Aufenthalten in Gelsenkirchen, Köln, Berlin und Minsk in seine Heimatstadt zurück und gründet die Paderborner Zeitschrift „Der Kump“, die erstmalig erscheint. Klein, handlich und für jedes Taschenformat geeignet, informiert das auf Innen- und Fernwirkung gedachte Blatt über kulturelle und aktuelle Ereignisse der Stadt.
Noch immer steht in der Stadtmitte der zerstörte Dom als Mahnmal ohne Dach. Die Renovierungen machen gute Fortschritte, der Kreuzgang wird erneuert und die Paderborner haben die Hoffnung, dass ihr Domturm bald seinen alten Helm zurückerhalten wird. Der Wunsch erfüllt sich 1955.
Stadtrat Block hat Namenstag. Daher regt der Paderborner Bürgermeister Christoph Tölle am 3. Dezember im Sitzungssaal der Stadtwerke an, die Ratsversammlung nicht allzu langen auszudehnen. Man solle sich doch beeilen und nach getaner Arbeit gemeinsam ein Glas Bier trinken gehen. Der überaus starke Beifall der Ratsmitglieder veranlasst den Bürgermeister schnell zu dem Zusatz: „Natürlich auf Kosten der Einzelnen!“ Am Ende der Sitzung wird dem Kohlenhändler Schwede aus der Konrad-Martin-Straße ein Grundstück am Greiteler Weg zugebilligt. Der bleibt aber aufgrund des milden Klimas noch immer auf seinen Kohlen sitzen.
Das Wetter macht Seitensprünge. Am 4.Dezember blühen in der Stadt die Primeln. Es sind 17 Grad im Schatten. Anstatt Eislauf am Padersee oder Schneeballschlacht am Marktplatz ist die Rollschuh-Bahn am Turnplatz ein Publikumsmagnet.
Das sind die Paderborner Künstler des Jahres 1953: Rudolf Hotes, Karl Blessing, Willi Becker, Ludwig Botschen, Waldemar Wilcke, Josef Lucas, Josef Rikus, Josefthomas Brinkschröder und Clara Vogedes. Sie stellen in der Weihnachtsausstellung, die am 8. Dezember im Gymnasium Theodorianum feierlich eröffnet wird, Bilder und Skulpturen aus. „Auch wenn die heutigen Ausstellungen auf den Betrachter manchmal beunruhigend wirken, so tragen sie doch zu einer Klärung der Standorte bei“, so Bürgermeister Tölle in seiner Begrüßungsrede.
In der Kulturausschusssitzung am 9. Dezember regt Studienrat Schoppe den Bau eines eigenen Paderborner Museums an. Dort sollen die Abteilungen Malerei, Naturwissenschaft und Altertumsforschung untergebracht werden. Die Verwaltung stellt für ihr erstes geschichtliches Museum Räume im Rathaus zur Verfügung. Am Abend wird das Marianische Jahr feierlich eröffnet. Eine Lichterprozession mit mehr als tausend Gläubigen führt die Teilnehmer mit brennenden Kerzen über den kleinen Domplatz und den Marktplatz in den Dom. Durch das Paradiesportal klingt das Brausen der mächtigen Orgel und feierlicher Gesang. Für einen kurzen Augenblick schließen die Paderborner ihre Augen und genießen die Stimmung.
In der Erzbischöflichen Akademischen Bibliothek wird einige Tage später ein neuer und moderner Lesesaal eröffnet. Über 120.000 Bände können ab sofort eingesehen und ausgeliehen werden. Die Witwe Löffelmann entschließt sich, das vollkommen zerstörte und berühmte Hotel Löffelmann am Kamp, dessen Ruf einst über die Grenzen der Stadt weit hinausging, wieder aufzubauen. Heute findet sich hier die Bank für Kirche und Caritas.
Der Oberkreisvorsteher a.D. Heinrich Dietschel vollendet am 17. Dezember sein 80. Lebensjahr. Nicht ganz so alt wird der „Filmklub Paderborn e.V.“. Im Westfälischen Hof feiert er mit seinem Geschäftsführer Willi Wedegärtner und seinen zahlreichen Mitgliedern erst seinen 2. Geburtstag. Damit der Verein bis zu diesem Tag und überhaupt erst einmal über die Runden kommt, verzichtet die Stadt auf die Vergnügungssteuer.
Noch immer warten die Kohlehändler auf kälteres Wetter. Wäre das nicht schon schlimm genug, werden einige von ihnen in der Nacht auf den 20. Dezember von Dieben heimgesucht. Diese dringen in Büros an der Bahnhofsstraße und der Königsstraße ein und lassen Bargeld mitgehen. Somit ist ein Teil der „Kohle“ bereits weg.
Endlich steht der Winter vor der Tür. Ein plötzlicher Kälteeinbruch bringt den ersehnten Schnee und die Weihnachtsstimmung.
Bevor es in die Weihnachtsfeiertage geht, kaufen die Paderborner am 22. Dezember ein letztes Mal auf dem Wochenmarkt ein. Das Angebot an Gänsen ist reichlich. Entscheidend ist jedoch die Qualität. Manche mögen es bescheidener und belassen es bei den Zutaten für eine gute und kräftige Gemüsesuppe. Bei den Weihnachtsbäumen sind die kleinsten am gefragtesten.
Am Heiligen Abend finden nach alter Tradition weihnachtliche Konzerte statt. Das erste beginnt am 24. Dezember um 17 Uhr vor dem Rathaus. Es spielt die Kapelle der Eisenbahn-Sozialwerke, unterstützt wird sie von der „Sängervereinigung 1871“. Am Marienplatz singt der Männergesangverein Cäcilia alte und neue Weihnachtslieder. In der Rathenaustraße treffen sich am frühen Abend die Mitglieder des Paderborner Posaunenchores vor dem Polizeigefängnis und überraschen die Insassen mit festlichem Gebläse. Leise rieselt der Schnee und Oh du fröhliche schallt es durch die Stadt bevor das neue Jahr mit neuen Stadtgeschichten beginnt. Auch unsere Zeit fließt weiter, so wie seit Jahrhunderten das Wasser der Pader, in das neue Jahr 2020 – welche Stadtgeschichten werden dann geschrieben?
#9 Der Maler der Paderborner Bürger: Josef Hunstiger (1889-1960)
Die stadtgeschichtliche Sammlung besitzt eine große Anzahl an Gemälden des als Portraitmaler bekannt geworden Paderborner Künstlers Josef Hunstiger (1889-1960). Zahlreiche Werke finden sich zudem in kirchlichen Institutionen und deren Sammlungen sowie in Privatbesitz. Wenig ist über den Künstler Hunstiger bekannt, sind es doch heute vielmehr seine zahlreichen Bildnisse, die sich in Sammlungen und Privathäusern finden.
Ein frühes Selbstportrait des Künstlers aus dem Jahr 1910 befindet sich in der Sammlung der Stadt. Joesf Hunstiger ist zu diesem Zeitpunkt 21 Jahre alt und besucht die Düsseldorfer Kunstakademie. Sein Haar und der Schnauzbart wirken gepflegt, die Krawatte ist ordentlich am weißen Hemdkragen gebunden. Hunstigers Blick ist abwartend, vielleicht leicht unsicher, und doch visualisiert es eine innere Entschlossenheit, den Weg des Künstlers, der nun vor ihm liegt, eingeschlagen zu haben.
Noch ist er mit seiner Heimatstadt verbunden, sein Selbstportrait signiert er das Selbstportrait mit „Höxter 1910“. Über seine Ausbildungszeit ist nichts bekannt, 1914 verlässt er die Akademie mit Abschluss, 1918 zieht er nach Paderborn und sucht fortan sein Dasein als Künstler in der Paderstadt. Der Ortswechsel zahlt sich aus. Es folgen zahlreiche Aufträge der Kirche, er malt mystische und mythologische Szenen für Altarräume, es entstehen Kreuzwegstationen, Bilder von Madonnen und Aposteln. Zahlreiche Werke finden den Weg in das westfälische Münster und in die Diözese nach Fulda. Im Laufe seiner Schaffenszeit ist er jedoch vorwiegend als Bildnismaler tätig und portraitiert viele Paderborner Bürgerinnen und Bürger, auch um seinen Lebensunterhalt und seine Familie zu finanzieren.
Seine Portraits sind beliebt und die Aufträge der Paderborner hierfür zahlreich. Hunstiger portraitiert die einfachen Bürger und Bürgerinnen Paderborns, aber auch Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Kirche, unter anderem den Paderborner Domkapitular Alois Fuchs (1954), der in den 1950er Jahren ein großer Förderer der Paderborner Kunstschaffenden war. Auch seine Familie hält er in zahlreichen Bildnissen fest: seine Großeltern, seine Eltern und immer wieder seine Ehefrau in verschiedenen Situationen. Auffällig in seinen zahlreichen Portraits ist die charakteristische Wiedergabe des Dargestellten unter der Einbeziehung des sozialen Umfeldes. Das Stadtmuseum hat Josef Hunstiger im „Sammlungsspeicher“ eine eigene Abteilung gewidmet.
# 10 In Zeiten von Corona: Stille und Stillstand. Kunst und Kultur zum (Über-)leben.
Vom Stadtmuseum aus gesehen liegt das attraktive Paderquellgebiet direkt vor der Tür. Damals, 1952, gab es das neue Verwaltungsgebäude der Stadt (Wiedererrichtung 1958) bzw. das heutige Stadtmuseum noch nicht. Paderborn befand sich nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs im Wiederaufbau, am Rand des Paderquellgebiet lagen noch die Ruinen des alten Klosters Abdinghof, das Dach des Domturms war noch nicht errichtet. Erst langsam begann sich auch an der Pader das Leben wieder zu erholen, wie die Aufnahme in Frühlingstagen zeigt.
In diesen Tagen wird uns im Quellgebiet ein anders Bild geboten und es scheint sinnvoll, sich der aktuellen Lage, sich der Stadt der Gegenwart zu widmen.
Wo sich sonst die Paderborner*innen und Besucher*innen bei Sonnenschein tummeln, ist es in diesen Tagen ruhig. Und das ist gut so, zeigen doch die sinnvoll und hilfreich verordneten Maßnahmen der Regierung und unserer Stadtvertreter erste Wirkung. Noch mehr.
In diesen Tagen und Wochen kehrt in unserer eigentlich stets lebendigen und liebenswerten Stadt Paderborn eine ungewohnte Stille ein, ein Phänomen, dass wohl zuletzt in den erschütternden Tagen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs präsent war. Nichts lief damals mehr, keine Infrastruktur, Straßen und Häuser waren zerstört, wenn überhaupt, gab es nur wenige Lebensmittel, die das Überleben zwischen Ruinen und Bombentrichtern sicherten.
Trotz der Not war es ein wohlwollendes und achtsames Miteinander, man half sich gegenseitig, auch war ein freundlicher Blick oder ein Lächeln, das Hoffnung schenkte, hilfreich. Das sollte auch heute so sein.
Die Zeit damals hat das Leben an der Pader, aber auch viele individuelle Schicksale geprägt. Gewiss war es damals keine einfache Zeit, aber es war ein achtsames Miteinander, das uns in den kommenden Wochen und Monaten Hoffnung machen sollte. Im Vergleich zu damals besitzen wir heute in der Regel vieles mehr – wir haben einen Job, Familie, Freunde und Besitz.
Was wir aber oft als selbstverständlich „mitgenommen“ haben, fällt nun plötzlich weg – unsere bunte und lebendige Kultur in Paderborn. Auch hier Stille, oder vielmehr Stillstand, von dem eine ganze Branche betroffen ist. Erst jetzt wird uns bewusst, wie wichtig doch diejenigen sind, die unseren Alltag mit ihrer Kunst und mit vielen schönen Momenten bereichert haben. Als Kurator von Ausstellungen und Veranstalter von kulturellen Angeboten bekomme ich nun die andere Seite der Kulturschaffenden mit: ihre Not und ihre Ängste, die nächsten Wochen und Monate ohne Einkünfte auskommen zu müssen.
Wir sind zurecht angehalten, in der kommenden Zeit möglichst auf soziale Kontakte zu verzichten um dem unsichtbaren Virus keine weiteren Wege zu ebnen. Es gilt in diesen Tagen Ruhe zu bewahren und sich auf das achtsame Miteinander zu konzentrieren und dort zu helfen, wo Hilfe nötig ist.
Was die Kultur bei uns und überhaupt bedeutet, wird erst im Stillstand bewusst. Kultur ist vielfältig und spricht alle Generationen an. Auch ist die Kulturwirtschaft von hoher wirtschaftlicher Relevanz und nicht zu unterschätzen, steht sie doch laut Städte und Gemeindebund NRW in der Bruttowertschöpfung vor der chemischen Industrie, den Energieversorgern und Finanzdienstleistern.
Corona trifft unsere Kreativszene hart, das Kulturleben in Paderborn ist vor und mit Publikum zum Erliegen gekommen. Für viele Kulturschaffende bricht in diesen Tagen und Wochen durch Absagen von Veranstaltungen und Engagements ihre finanzielle Grundlage weg. In den kommenden Monaten werden sie daher unsere Solidarität und wirtschaftliche Unterstützung benötigen, denn die zahlreichen Absagen werden die Kreativen existenziell treffen.
Das Stadtmuseum wird alle ausgefallenen Veranstaltungen verschieben und nachholen. Auch denken wir über Formate nach, wie wir die kulturelle Vielfalt in unserer Stadt erhalten und den Kreativen jetzt und später nach der Krise helfen können.
Was können Sie in dieser Zeit für die Kulturschaffenden Paderborns tun?
Behalten Sie bereits erworbene Eintrittskarten, unterstützen Sie die lokalen Künstler*innen durch den Kauf von Büchern, Musik oder anderen Dingen. Gönnen Sie sich mit Freunden ein kleines privates Event: Buchen Sie schon jetzt für die Zeit nach der Krise einen oder mehrere Künstler*innen für einen privaten Auftritt in ihrem Wohnzimmer oder ihrem Garten zusammen! Schenken Sie sich ein kleines Konzert, eine Lesung, ein Schauspiel, ein Puppenspiel und vieles mehr. Auch gibt es zahlreiche Paderborner Firmen, die entsprechende Technik zur Verfügung stellen können. Sie werden nicht nur sich selbst und ihre Freunde belohnen, sondern auch all diejenigen, die davon leben müssen. Auch jetzt. Machen Sie einen Vertrag, zahlen Sie schon jetzt die Hälfte des vereinbarten Honorars und helfen Sie mit, dass Überleben der Künstler/innen und der Paderborner Kulturschaffenden zu sichern so dass wir alle auch nach der Krise Kultur in der Stadt genießen können. Werden Sie kreativ, auch die ungewöhnlichsten Ideen können für jede Unterstützung wichtig und gut sein.
Schauen Sie auch auf das Crowdfunding-Projekt „Paderborner Kultur-Soli“ (www.kultursoli.de). Hier können Sie zahlreiche Gegenleistungen, "Dankeschöns" erwerben oder einfach einen freien Betrag spenden. Weitere Paderborner Initiativen, die zur Unterstützung genutzt werden können, sind der “Hasentaler“ (www.hasentaler.de) oder „Wir gegen Corona“ (www.wirvscorona.de).
Und stellen Sie sich vor, im Spätsommer oder im Herbst klingt dann aus allen Ecken unserer Stadt, auch aus den offiziellen Veranstaltungsorten heraus, wieder unsere bunte und fröhliche Kultur und zeigt uns, dass das normale Leben zurückgekehrt ist - auch im historischen Paderquellgebiet.
Kultur sollte man sich nicht nur in guten Zeiten gönnen, sondern sie so fördern und unterstützen, dass wir sie auch noch nach der Krise genießen können. Vor allem aber gilt jetzt und überhaupt: Bleiben Sie gesund!
#11 1945 - Leben nach dem Krieg. Neubeginn in der zerstörten Stadt
In diesen Wochen jährt sich die bedingungslose Kapitulation von Nazi-Deutschland vor 75 Jahren am 7. Mai 1945, am 8. Mai 1945 um 23 Uhr trat sie in Kraft. Die Schrecken des Zweiten Weltkrieges waren damit auch in Paderborn beendet. Die Stadt war zu diesem Zeitpunkt bis zu 85% zerstört. Mit dem letzten Angriff vom 27. März 1945 hatte sich Paderborn in ein Trümmerfeld und Flammenmeer verwandelt, in der Innenstadt war kaum ein Haus mehr bewohnbar. Eine Paderbornerin schilderte ihre Eindrücke zum letzten Luftangriff: „Trümmerhaufen, wohin man schaute, brennende Häuser, verzweifelt gestikulierende Menschen. Der Dom, das Wahrzeichen unserer Stadt, brannte wie eine riesige Fackel.“
Nach dem Ende der Kampfhandlungen des Zweiten Weltkrieges lag nahezu die gesamte Altstadt Paderborns in Trümmern. Viele Paderborner, die bereits nach den ersten schweren Luftangriffen im Januar des Jahres 1945 aufs Land geflüchtet waren, kehrten in ihre schwer beschädigten Häuser zurück, nun war man vorrangig mit Fragen der Nahrungs-und Brennstoffbeschaffung und der notdürftigen Instandsetzung des Wohnraumes beschäftigt. Die Bevölkerung lebte behelfsmäßig in den ersten Wochen nach dem Krieg in zerstörten und beschädigten Häusern, Wohnungen, Kellern oder Baracken, es fehlte an Lebensmitteln, Bekleidung und Medikamenten. Die ärztliche Versorgung konnte nur notdürftig aufrechterhalten werden. Hunger bestimmte den Alltag. Die Paderborner versuchten in dieser Situation, durch Tauschgeschäfte das Lebensnotwendigste zu beschaffen. Neben der Lebensmittel- und Wohnungsnot stellte die Brennstoffversorgung eines der größten Alltagsprobleme dar. Noch vorhandenen Lebensmittel wurden rationiert und konnten nur über Lebensmittelkarten bezogen werden. Gemeinschaftseinrichtungen wie Schulen und Krankenhäuser lagen in Trümmern, ebenso waren Wasser-, Elektrizitäts- und Gasversorgung zerstört. Die größte Schwierigkeit beim Wiederaufbau bestand darin, die Trümmer zu beseitigen. Um die Aufräumarbeiten schnell voranzutreiben, wurden Trümmerbahnen eingesetzt mit denen der Schutt aus der Stadt heraustransportiert werden konnte.
Britische Besatzung
Noch bevor die amerikanischen Kampftruppen Schloss Neuhaus einschließlich Sennelager vollständig eingenommen hatten, nahm die britische Militärregierung am 3. April 1945 ihre Arbeit in Paderborn auf.
Ein wichtigstes Ziel der britischen Militärregierung war ein sofortiger Wiederaufbau von Wirtschaft, Verkehr und Verwaltung, um so die elementare Versorgung der Paderborner Bevölkerung wiederherzustellen.
Politische Tätigkeit wurde offiziell nicht zugelassen. Es erfolgte die Kontrolle der deutschen Bevölkerung nach dem Prinzip der „indirecte rule“ aus der britischen Kolonialtradition: Die Militärregierung wollte nicht selbst die Verwaltungsangelegenheiten erledigen, sondern sich auf eine deutsche Auftragsverwaltung stützen indem sie mit der Einsetzung einer von Nationalsozialisten gesäuberten Stadtverwaltung unter Führung einer akzeptablen Persönlichkeit plante. In Paderborn erhielt zunächst Domvikar Kaspar Schulte den Auftrag, die Stadtverwaltung wiederaufzubauen. In Schulte sahen die Engländer eine Vertrauensperson, die durch ihre Tätigkeit als Geistlicher und Mitarbeiter der katholischen Arbeiterbewegung völlig unvorbelastet war. Bereits 1936 hatte Schulte sich zur Glaubenspropaganda der Nationalsozialisten geäußert und gesagt, dass das kirchliche Verständnis von Heldentum sich auf Märtyrer und Heilige und nicht auf idealisierte Kämpfer der staatlichen Propaganda bezieht.
Rechtsanwalt Heinrich Zacharias wurde erster kommissarischer Bürgermeister von Paderborn (6.4.-10.5.1945). Ihm folgten Jurist Norbert Fischer (10.5. 1945 bis 10.1.1946) und Christoph Tölle (14.1.1946-20.3.1968). Vornehmliche Aufgabe waren die Wiederherstellung einer funktionierenden Stadtverwaltung und der Wiederaufbau Paderborns.
Durch die starke Zerstörung der Innenstadt lag eine grundlegende Umgestaltung nahe. Die Umlegungspläne entstanden nach dem Grundsatz einer verkehrsgerechten Stadt. Im Januar 1947 zeigte sich, dass teilweise kein Wiederaufbau, sondern ein Neuaufbau durchgeführt werden musste. Es gab Konflikte um den Wiederaufbau der Innenstadt, da moderne stadtplanerische Gesichtspunkte im Widerspruch zur Forderung nach dem Erhalt des historischen Stadtbildes standen. Reste von historischen Gebäuden konnten teilweise aufgrund der starken Zerstörung nicht erhalten werden. Zentrale Plätze wie der Dom- und Marienplatz sowie das Paderquellgebiet erhielten ein verändertes Aussehen. Erst 1949 war die Enttrümmerung der Stadt so weit fortgeschritten, dass die Trümmerbahnen nicht mehr benötigt wurden. Bis in die 60er Jahre hinein fanden sich noch immer kleinere Trümmer- und Schuttmengen im Stadtgebiet.
#12 Willkommen in Paderborn! Der Anschluss an das preußische Eisenbahnnetz
Seit 170 Jahren ist Paderborn nun an das Eisenbahnnetz angeschlossen und es brachte der Stadt ab Mitte des 19. Jahrhunderts erheblichen wirtschaftlichen Aufschwung. Zeitgleich wurde 1850 der neue Bahnhof eröffnet, ein repräsentativer Steinbau, der damals noch außerhalb des alten Mauerrings lag und vermutlich schon einige Zeit früher fertiggestellt war: Denn bereits im Jahr 1848 wurden 280 württembergische Reiter am „Bahnhofsgebäude mit einem Frühstück und einem Schluck kräftigen Paderborner Bieres fröhlich empfangen“, so die Stadtchronik.
Auch heute findet sich der Bahnhof noch immer am selben Standort in der Bahnhofsstraße. Für die Stadt war der Anschluss an das
preußische Bahnnetz die Mitfahrgelegenheit in das industrielle Zeitalter, denn es brachte neue Arbeitsplätze, die lokale Wirtschaft sollte vor allem vom regen Warenverkehr profitieren. Gab es 1806 ca. 5.700 Bewohner in der Stadt, waren es im Jahr 1871 bereits 13.700, die sich an der Pader eingerichtet hatten.
Die Geschichte der Paderborner Eisenbahn beginnt allerdings ein paar Jahre früher. Kurz nach der ersten Eisenbahnfahrt am 7. Dezember 1835 von Nürnberg nach Fürth, tauchten auch im Paderborner Raum die ersten Pläne für den Bau einer Bahnstrecke auf. Im August 1836 berichtet der damalige Landrat von Metternich in seinem Regierungsbericht von seinen Bemühungen, recht viele Eisenbahnaktien in seinem Kreis unterzubringen zu wollen. Nach jahrelangen Verhandlungen wurde am 4. Oktober 1850 dann der Zugbetrieb von Paderborn nach Hamm aufgenommen. Die erste Eisenbahnlinie von und nach Paderborn, die auch über Lippstadt und Soest führte, bediente sich entlang der tausendjährigen Heeres- und Handelsstraße, des alten Hellwegs.
Der Eisenbahnpersonenverkehr brachte gegenüber der damals noch traditionellen Postkutsche erhebliche Verbilligungen und Verbesserungen mit sich, war die Fahrtzeit nach Hamm nun mit nur 3,5 Stunden erheblich schneller als mit der bis dahin herkömmlichen Pferdekutsche. Im Vergleich: Heute benötigt der Regionalexpress nach Hamm ohne Umstieg nur 41 Minuten.
Noch bedeutsamer war nur drei Jahre später, am 21. Juli 1853, die Eisenbahneinweihung der Strecke von Paderborn nach Warburg. Bis zu 12000 Arbeiter hatten in nur kurzer Zeit die Strecke im Akkord gebaut. Allein zwei Jahre wurden benötigt, um die Viadukte nach Altenbeken hin zu errichten. Mit 330 Meter war das Gelände in der Egge der höchste Punkt, den die preußische Eisenbahn erstmals zu überqueren hatte. Sogar König Friedrich Wilhelm IV. nahm an der Eröffnung des Streckenabschnitts teil: „Ich habe geglaubt eine goldene Brücke vorzufinden, weil so schrecklich viele Taler verbraucht worden sind“, soll der König beim Anblick des großen Viaduktes gesagt haben, dessen Kosten allein auf 573000 Taler geschätzt wurden. Mit einem großen Gefolge von hohen Staatsbeamten, Offizieren und zahlreichen Honoratioren aus der Stadt und der Provinz, hatte er der feierlichen Eröffnungszeremonie im Bahnhof von Neuenheerse beigewohnt. Der Schlussakt des Tages war ein großes Festessen im Paderborner Gasthaus „Kaiserhof“.
Die Paderborner Stadtvertreter und Bürger*innen waren stolz auf ihr imposantes zweistöckiges Bahnhofsgebäude aus Stein mit hohen Glasfenstern und einer großen Eingangshalle. Mehrere Standorte nahe der Stadt, wie der Liboriberg oder das Westentor, waren zunächst diskutiert worden. Die Eisenbahn verlangte aber, dass ein Bahnhof vor den Toren einer Stadt liegen müsse. Nach langem Hin und Her einigte man sich schließlich auf den Standort, an dem der Bahnhof auch heute noch zu finden ist. Damit die Reisenden den Weg zur Innenstadt oder zum Bahnhof hin nicht zu Fuß gehen mussten, beförderten die Hotels ihre Gäste mit eigenen Fahrzeugen, wie zum Beispiel das Hotel Löffelmann am Kamp, das einen von vier Pferden gezogenen Omnibus für acht Personen einsetzte.
Überhaupt waren Bahnhöfe in der Frühzeit der Eisenbahn eine neue, bis dahin unbekannte Bauaufgabe, für die ein gestalterisches Repertoire nicht zur Verfügung stand. Man stellte sich die Frage, was beim Außenbau dominieren sollte: die Bahnsteige oder die Empfangsgebäude, sprich Bahnhöfe. Anfangs waren die Architekturstile vielfältig und unterschiedlich, aber die für eine Stadt repräsentativen Gebäude waren in der Regel groß und imposant gebaut, auch in Paderborn - den Ankommenden und Abreisenden wollte man schon bei der Ankunft einen entsprechenden Eindruck verschaffen.
Güter- und Personenzüge nahmen nun immer mehr ihre Fahrt auf. Ereignisse aus Paderborns Stadtgeschichte rücken den Bahnhof immer wieder als besonderen Ankunfts- und Abfahrtsort in den Mittelpunkt, wie im Jahr 1851: erstmalig wurde ein Sonderzug zu Libori eingesetzt. In der Ausgabe Nr. 30 im Westfälischen Volksblatt vom 23. Juli 1851, gab die „Königliche Direktion der westfälischen Eisenbahnen“ bekannt, dass ein Zug ab „5.28 Uhr“ in Soest starten und um „7.50 Uhr“ in Paderborn eintreffen würde, die letzte Rückfahrt war für „7 Uhr“ am Abend angeschlagen. Für die Züge wurden „Billets aller Wagenklassen ausgegeben“. In den Augusttagen im Jahr 1914 fuhren von hier aus die Soldaten an die Front, im Oktober 1918 machte der letzte deutsche Kaiser Wilhelm II. mit seinen beiden Hunden vor der Kapitulation am Bahnhof Halt. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen hier die Ostheimkehrer an und wurden mit Suppe und Brot empfangen.
Ein Neubau war nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs nötig. Der einfache Zweckbau ist heute in die Jahre gekommen, aber ein moderner Neubau an der belebten Bahnhofstraße ist geplant, viele Bahnhofs-Geschichten können somit noch weitergeschrieben werden.
#13 Unser täglich Brot… ´N Paddaboana zun Anschneiden
Ganz frisch, daumendick geschnitten, mit ordentlich Butter drauf, mit oder ohne Erdbeermarmelade, direkt ein Stück der saftigen Teigware auf dem Weg vom Bäcker abgerissen und in den Mund gesteckt oder später getunkt in Bratensoße: Wie ein/e Jede/r das „Paderborner“ am liebsten isst, ist individuell so verschieden wie die Paderborner*innen an sich. Fest steht jedoch: Zum täglichen Frühstück gehört bei vielen auch heute noch das über die Grenzen der Stadt hinaus bekannte „Paderborner Brot“, ein Roggenmischbrot mit Natursauerteig, mit dem bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Großbäckerei Neuhaus warb. Damals war es die „einzige Großbäckerei im Paderborner Bezirk mit Holzfeuerung“, die das Paderborner Landbrot vertrieb.
Bereits im Mittelalter war das in Paderborn gebackene Brot beliebt und bekannt. Insbesondere haben die zahlreichen Mühlen – im Jahr 1406 wird von 20 Mühlen an der Pader berichtet – dazu beigetragen, Mehl für die Herstellung von Roggen- und Weizenbrot herzustellen, das weit über die Grenzen des Paderborner Landes hinaus exportiert wurde. Die Mühlen standen an den Armen der Pader zwischen der Mühlenstraße und der Stadtmauer. 1810 gab es noch fünf Mühlen, die nach den Müllern benannten Schwarzendahls Mühle und Pollmanns Mühle. Noch bis 1883 wurde das Wasser der Pader zum direkten Antrieb der Mühlen über Wasserräder genutzt.
Die Gründung der Bäckerei Ostermann im Jahr 1897 durch Bäckermeister Fritz Ostermann, der eine Feinbäckerei an der Kampstraße in Paderborn eröffnete, hatte großen Anteil daran, das „Paderborner“ deutschlandweit bekannt werden zu lassen. Noch heute steht das kleine Gebäude der Bäckerei leicht versteckt hinter der Bank für Kirche und Caritas am Kamp und beherbergt hier das Künstlerkollektiv „Raum für Kunst“. Motor und Teigmaschine aus frühen Bäckerjahren sind noch im Ausstellungsraum zu sehen.
Das „Paderborner Brot“ war mit Gründung der Firma Ostermann eine wichtige Brotsorte der Bäckerei. Bereits um die Jahrhundertwende lieferte Ostermann das Brot über die Stadtgrenzen Paderborns hinaus in „Brot-Spezialgeschäfte“ in umliegende Ortschaften. 1928 legte Ostermann dann den Grundstein für die „Paderborner Brotfabrik“ an der Driburger Straße. Von einem eigenen Bahnanschluss aus konnte das Brot nun in großer Menge in viele deutsche Großstädte versendet werden. Das Paderborner Brot wurde dadurch in ganz Deutschland bekannt, eine Spezialität, die man auch in Berlin, Hamburg, Leipzig, Dresden oder München genießen konnte, wie Hermann Tölle in der Libori-Zeitschrift von 1951 zu berichteten wusste. Das in der Regel aus "Wäytenkorn", ein Gemenge zu einem Viertel aus Weizen und zu drei Vierteln aus Roggen und natürlich unserem Paderwasser hergestellte Brot, beherrschte zweitweise sogar den deutschen Markt, so Paderborns Bürgermeister Philipp Haerten in einer Rede auf dem Fest der Bäckerinnung 1930 in Paderborn. Auch nach Holland wurde es exportiert, mit England wurden Lieferverträge über das schmackhafte Brot geführt, dann aber kam der Zweite Weltkrieg.
Nach dem Krieg wurde die zerstörte Brotfabrik Ostermann wieder aufgebaut, das beliebte Landbrot wurde mit Wiederaufnahme der Produktion nicht nur in das Umland, sondern jetzt auch an Großbrothändler in Süd- und Norddeutschland sowie in das Rheinland geliefert. Bundesweit Schlagzeilen machte die Eröffnung eines „Drive-in-Schalters“ an Ostermanns Brotfabrik in der Driburger Straße in den 1990er Jahren, der insbesondere sonntags von vielen motorisierten Kunden genutzt wurde.
Viele Geschichten ranken sich um Brot als Nahrungsmittel, das wohl als erstes vor rund 6000 Jahren in der Hochkultur der Ägypter gebacken wurde. Insgesamt gibt es heute über 3000 eingetragene Brotsorten in Deutschland. Im Jahr 2014 wurde aufgrund der langen Backtradition die Deutsche Brotkultur durch die nationale UNESCO-Kommission in das bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Im Brotmagazin der Deutschen Innungsbäckerei wird das „Paderborner Landbrot“ wie folgt beschrieben: „Kastenförmig und angeschoben und somit Brotlaib an Brotlaib gebacken, erkennt man das Paderborner Landbrot an seinen krustenlosen Seiten, seiner stumpfen Kruste sowie seiner hellen, lockeren Krume. Dank seines mittelkräftigen Geschmacks ist es sehr beliebt.“ Ebenso stehen bei den Brotliebhabern die Variationen „Doppelback“ und das „Paderborner mit Kante“ in der Beliebtheitsskala weit oben, aber da sind die Vorlieben sehr unterschiedlich.
Rezepte und Erinnerungen über das „Paderborner“ finden sich viele, wie die vom Bogen-Bäcker Dietrich Honervogt von der Traditionsbäckerei Honervogt gegenüber dem Amtsgericht (1872-2010). Nachdem in den frühen Morgenstunden die Brote gebacken waren, lieferte Honervogt noch lange Zeit selber mit einem Kastenwagen die vielen „Paderborner" an die Kundschaft aus um dann nur ein paar Stunden später als stellvertretender Bürgermeister, dann im Anzug und Bürgermeisterkette, die Stadt im historischen Rathaus zu repräsentieren.
Und wer hat nicht als Kind auch schon heimlich vom frischgebackenen Paderborner genascht und probiert? In Antje und Karl Telgenbüscher Buch „´N Paddaboana zun Anschneiden“ findet sich ein Zeitzeugenbericht auf „Paddabörnsch“, der alten Umgangssprache von damals, den es lohnt, hier abschließend wiederzugeben:
„Nunn spring ma nachn Schinkenbecker und hol mir´n Brot. Holste´n Paddaboana zun Anschneiden, kann ruhich ´n Eckbrot ßein, sachte die Mutta so für uns. Und wir dann hingetechelt nach´n Schinkenbecker. Healich, noch so richtig ölich! Un wie das roch! Und denn ßind wa chanz lammßamm wieder nach Hause. Un unterweechs haam wa eaßma ßo mit Daumen un Zeigefinger an einer Ecke ßo´n bischen was rauscheknibbelt. Un damit das nicht ßo auffiel, wuade an de andern ßeite auch noch ßo´n bischen rauschepickt, und ßo chink das immer weiter, da konnße nich wider aufhören mit!“
Sollten Sie beim nächsten Brotkauf nicht widerstehen können, gönnen Sie sich ein paar Krumen frisches „Paderborner“ aus der Bäckertüte, verschenken Sie unterwegs eine Scheibe Brot an andere und damit auch ein Stück Stadtgeschichte - dann wird der Weg nach Hause oder zum Arbeitsplatz ein ganz besonders schmackhafter, so oder so.
#14 Und Sonntags ins Kino… Als die Bilder laufen lernten!
Was heute selbstverständlich mit einem Mausklick oder im Fernsehen abrufbar ist, war für viele Paderborner um 1900 ein Novum: bewegte und laufende Bilder auf einer Leinwand.
Die erste Kinoerfahrung konnten die Paderborner im Kaiserhof am Kamp, einem etablierten Paderborner Gasthof und Hotel, in dessen großem Saal regelmäßig Konzerte, Bälle und Vorträge stattfanden, machen. Der Schausteller Jeschke aus Berlin mietete damals den Hotelsaal am 2. und 3. Oktober 1898. Sein kinematographisches Programm zeigte damals eine astronomische Serie, eine verunglückte amerikanische Nordpolfahrt der ‚Jeanette’ und Ansichten aus verschiedenen Ländern“. Der Berliner Schausteller gab an den beiden Spieltagen einen Nachmittags- und eine Abendvorstellung. Die Nachfrage war groß und die Paderborner drängten in den kleinen Saal des Hotels.
Auch fanden damals lokale Aufnahmen große Beachtung, fahrende Schausteller filmten zum Teil auch selbst und zeigten ihre Filme auf Jahrmärkten, in Paderborn während Libori einen Schützenumzug des Paderborner Bürger-Schützenvereins sowie das Leben und Treiben auf dem Domplatz nach der Beendigung eines Gottesdienstes. Die Paderborner waren fasziniert von Lokalfilmen und der Darstellung ihrer Nahwelt. Das Jahrmarktskino zu Libori bot eine Kombination aus lokalen und globalen Aufnahmen, es war Heimat- und Reisekino zugleich.
Zu den ältesten Standorten Paderborns, in denen um 1900 erstmals kinematographisches Programm geboten wurde, gehörte die Hestersche Volkshalle am Rosentor, die als Gast- und Vergnügungsstätte in der Domstadt bekannt war und von Karl Hester, der zugleich Inhaber einer Brauerei war, betrieben wurde. Die ersten Filme, die im großen Saal der Volkshalle angeboten wurden, wurden anfangs von umherziehenden Kinematographen-Betreibern vorgeführt. 1927 eröffnete Otto Lettau dann mit dem „Residenztheater“ am Rosentor als erstes ein Kino in der Stadt mit regelmäßigen Filmangeboten. Musiker sorgten bei den zahlreichen Stummfilmen für eine entsprechende und unterhaltsame Untermalung. Sieben Jahre später nahmen die Geschwister Hester in Zusammenarbeit mit Julius Heissbach, den sie sich als Filmfachmann nach Paderborn geholt hatten, das Kino-Geschäft selbst in die Hand. Im Oktober 1935 wurde das Kino in „Metropol-Theater“ umbenannt, 1945 wurde es durch Bombenangriffe zerstört.
Nach dem Zweiten Weltkrieg errichtete der „Filmtheaterbetrieb Josef Hester & Co. oHG“ 1949 am Standort der ehemaligen Volkshalle ein neues Balkonkino als Vielzwecksaal für Filme, Theater, Ballett und Kabarett. Das Kino mit einem neuartigen „Cinemascopesystem“ hieß fortan „Capitol-Theater“ und fand unter den Zuschauern begeisterten Zuspruch. Die Sitzplatzkapazität lag damals bei ca. 800 Plätzen.
Bei der Gestaltung des Kinoaußengebäudes am Capitol ist das große, runde Vordach bemerkenswert, das den Eingangsbereich umgibt und zusammen mit der hier angebrachten Leuchtschrift für das Kino wirbt. Auch heute noch ist die markante Außenarchitektur sichtbar und wirbt nun nicht mehr für Kinofilme, sondern für Veranstaltungen im „Capitol Club & Events“.
#15 Paderborn 1909… im Blick von Willy Lucas
Nähern wir uns heute Paderborn aus westlicher Richtung, blicken wir auf eine kleine Großstadt, auf markante Kirchtürme und Hochhäuser, auf bunte Werbetafeln und Hinweisschilder sowie auf zahlreiche Windräder am Horizont. Ein gewohntes und vertrautes Bild. Unser Stadtbild hat sich, bei genauerer Beobachtung, im Laufe der Jahrhunderte ständig verändert. Im Stadtmuseum lassen sich diese Veränderungen an vielen Gemälden und Zeichnungen beobachten, wie im großformatigen Bild des Malers Willy Lucas (1884-1918) aus dem Jahr 1909. Das Gemälde, das der Paderborner Künstler aufgrund des übergroßen Formates - es misst 2,08 x 4,05 Meter - im Atelier ausführte, zeigt die Stadt mit vielen charakteristischen Gebäuden: Häuser am Stadtrand mit ihren roten Dächern, markante Kirchtürme vom Dom, der Abdinghofkirche und der Gaukirche, die Fassade des historischen Rathauses sowie eine sonnenbeschienene Landschaft der Egge, die sich östlich der Paderstadt in den Bildhintergrund erstreckt. Was machte die Stadt um 1900 aus? Gehen Sie mit auf Spurensuche.
Paderborn um 1900
In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts lebte die Bevölkerung überwiegend von Landwirtschaft, Handel und Handwerk. Paderborn, zu diesem Zeitpunkt noch eine kleine Provinzstadt, war in Teilen von der im 12. Jahrhundert erbauten, mittelalterlichen Stadtmauer umschlossen. Gewohnt wurde noch überwiegend in Fachwerkhäusern. Eine große Feuersbrunst im Jahr 1875, der sogenannte „Ükernbrand“, gab Anstoß zur Erneuerung und Weiterentwicklung Paderborns. Die schützende Stadtmauer wurde nach und nach aufgegeben und die Stadt breitete sich allmählich in alle Richtungen aus. Vor der in die Jahre gekommenen Mauer wurden Wälle und Promenaden angelegt und luden zum Flanieren ein. Nach dem großen Stadtbrand, man hatte dazugelernt, entstanden gemauerte Wohnhäuser und sichere repräsentative und öffentliche Gebäude.
Im Jahr 1886 zog die Familie von Willy Lucas von Bad Driburg nach Paderborn in das vor dem Westerntor gelegene Riemekeviertel. Mietshauszeilen prägten das beliebte Arbeiter- und Handwerkerviertel im Westen der Stadt, das sich schnell vergößerte: 1886 entstand die Marktkircher Knabenschule im Stil der Neu-Renaissance, 1897/98 wurde die Herz-Jesu Kirche erbaut. Im November 1898 bezog das Infanterie Regiment 158, in dessen Kreisen Willy Lucas später gerne verkehrte, die Kaserne an der Ecke Neuhäuser- und Elsenerstraße.
Die Straßenbahn fuhr erstmalig am 30. August 1900 auf einer 4,8 km langen Strecke zwischen dem Hauptbahnhof und Schloss Neuhaus. Neun Jahre später gründete sich die PESAG, die Paderborner Elektrizitäts- und Straßenbahn-Aktiengesellschaft. Sie brachte die Elektrizität in die Stadt und baute das Straßenbahnnetz weiter aus. Die Paderborner Innenstadt zeichnete sich damals durch ein homogenes Nebeneinander verschiedener historischer Stile aus. Diese reichten von Romanik und Gotik über Renaissance und Frühbarock bis hin zu Neugotik und Historismus. Kirchen, öffentliche Plätze, bürgerliche Wohnviertel und das Paderquellgebiet kennzeichneten den altstädtischen Kern. Entlang der Stadtmauer prägen Fachwerkhäuser, in denen Handwerker, Gewerbetreibende und Bauern wohnten, das Bild. In seinem monumentalen Gemälde erfasste Willy Lucas die Stadt vor mehr als 100 Jahren auf eine beschreibende Art und Weise und man kann sich das Leben inmitten der Stadt gut vorstellen. Damals gab es allerdings noch nicht so zahlreiche Ampeln!
Über die großformatige Stadtansicht wusste 1960 der Paderborner Hermann Tölle zu berichten: „Nach dem zweiten Weltkrieg, als Paderborn ein Trümmerhaufen war, habe ich oft um ein großes Bild unseres Malers gebangt, das in einem Raum des roten Backsteingebäudes am Gierswall abgestellt war, in dem die Stadtverwaltung Unterkunft gefunden hatte. In diesem saalähnlichen Zimmer arbeitete eine Kartenausgabestelle. Viele Leute gingen dort ein und aus. Ich wurde eine geheime Angst nicht los: Hoffentlich stößt nicht jemand mit dem Schirm oder mit dem Krückstock durch die Leinwand. (…) Später traf ich wieder auf das große Bild von Lucas, und zwar in einer Garage in der Krummen Grube. Jetzt hängt die großformatige Stadtansicht, neu gerahmt und renoviert, im Sitzungssaal des Rathauses.“ Heute, nach einem kurzen Intermezzo im historischen Audienzsaal im Schloß von Neuhaus, lässt sich das Gemälde im Stadtmuseum bewundern.
Aber nochmal zu unserem Künstler: Über 60 Bilder aus allen Schaffensphasen finden sich heute in der städtischen Kunstsammlung. Willy Lucas studierte damals für ein paar Jahre an der Düsseldorfer Akademie (1904-1906) und wurde Maler – ein pictor vagabundus, der rastlos durch Europa reiste auf der Suche nach seinem Motiv: fremde Orte, ihre Bahnhöfe, Häfen, Brücken, Alleen, Geschäftsstraßen – immer wieder begeisterte ihn auch seine Heimatstadt. Was aber würde er heute sehen, wahrnehmen und im Bild wiedergeben? Machen oder „malen“ Sie sich doch selbst einmal ein Bild von Paderborn und vergleichen es mit den zahlreichen Stadtansichten im Stadtmuseum – Neuentdeckungen sind garantiert!
#16 Grüße aus Paderborn – von Postkarten und Fußgängerzonen
„Viele Grüße aus Paderborn, schön hier…!“ – wann haben Sie zuletzt eine Postkarte verschickt? Das waren noch Zeiten, sage ich mir dann immer, aus den vielen angebotenen Ansichtskarten am Urlaubsort die eine richtige mit einem schönen Motiv suchen, sich Zeit nehmen, einen möglichst herzlichen oder informativen Gruß handschriftlich zu verfassen, eine Briefmarke kleben und zum Briefkasten bringen und wissen, dass der Gruß in ein paar Tagen beim Empfänger ankommen wird… alles mit Zeit und Ruhe. Heute können wir in Sekundenschnelle per Smartphone aus der ganzen Welt Grüße verschicken, aber vor mehr als einhundert Jahren war so etwas noch gar nicht denkbar. Die Erfindung der Postkarte im 19. Jahrhundert war daher revolutionär und machte es erstmals möglich, kurze Mitteilungen wie Lebenszeichen oder Grüße zu verschicken. Wie aber hat die Geschichte der Post- und Ansichtskarte eigentlich begonnen?
Zunächst galt sie als „unanständige Form der Mitteilung auf offenem Postblatt“, von vielen Seiten wurde sie kritisiert, traf aber den Nerv der Zeit! Sie erfüllte das Bedürfnis nach vereinfachtem und schnellerem Informationsaustausch. Kritiker äußerten sich zunächst besorgt um das Briefgeheimnis, die Wahrung der guten Sitten und befürchteten sinkende Einnahmen gegenüber dem herkömmlichen Brief. Aber es kam ganz anders. Damals, im Jahr 1865, hatte Heinrich von Stephan (1831-1897), Postreformer und Gründer des Reichspostmuseums in Berlin, die Idee, ein „offenes Postblatt“ als einfache und kostengünstige Alternative zum Brief einzuführen. Der Absender sollte dem Empfänger durch das Markieren von aufgedruckten Phrasen eine kurze und persönliche Nachricht übermitteln.
Die Idee entsprach dem Zeitgeist, am 1. Oktober 1869 hatte die österreich-ungarische Post eine „Correspondenz-Karte“ eingeführt. In Deutschland konnte von Stephan seine Idee dann im Juni 1870 auf den Markt bringen. Die Erfindung kam hervorragend an: Am ersten Tag wurden mehr als 45.000 Exemplare verkauft und zeitnah verschickt. Bereits 1900 waren eine Milliarde Exemplare versendet worden, die Hälfte davon Ansichtskarten, im Ersten Weltkrieg sogar zehnmal so viele.
In heutigen Zeiten der „Messenger Dienste“ werden weniger Postkarten versendet, dafür dient sie mit ihren zahlreichen Motiven der Forschung, wie die umfangreiche Ansichtskartensammlung des Sammlers Ulrich Brinkmann zeigt. Einen kleinen Teil seiner über 35.000 zählenden Postkartensammlung können wir derzeit im Stadtmuseum zeigen. Neben vielen Motiven deutscher Städte aus Ost und West bilden Motive der Paderborner Westernstraße, die die Entwicklung und Veränderung der Fußgängerzone von Beginn des 20. Jahrhunderts bis in die nahe Gegenwart zeigen, einen Schwerpunkt. Viel hat sich von der Wegeführung der alten Handelsstraße auf den ersten Blick nicht verändert, schaut man jedoch näher hin, ging Paderborn stets mit der Zeit, auch nach dem Wiederaufbau durch die Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg.
Bei der Betrachtung der Paderborner Postkartenmotive reisen wir durch ein ganzes Jahrhundert. Der Lebens- und Wohnbereich in der Westernstraße um 1905 mit Blickrichtung vom Rathaus zum Marienplatz wirkt gemütlich und einladend. Neben giebelständigen Altbauten am Rathausplatz, die mit ihrem Krüppelwalmdach die charakteristische Form des typischen Paderborner Ackerbürgerhauses prägen, finden sich prächtige Wohn- und Geschäftshäuser. Fast alle Erdgeschosse dienen als Geschäftsräume, heruntergelassene Stoffmarkisen schützen an einem Sommertag vor der Sonne. Die Gehwege sind belebt, Menschen mit Taschen und Körben gehen ihren Besorgungen nach. Vor dem Rathaus findet sich der damals noch eingezäunte Kump, der die Menschen in der Stadt lange Zeit mit Wasser versorgte.
Mit den Jahren dann wird das Verkehrsaufkommen größer, die Postkarten farbiger, immer mehr bewegen sich Fahrzeuge aller Art vom Westerntor bis zum Rathaus. Auch die Straßenbahn ist ein beliebtes Motiv, manchmal nur angedeutet durch die im Asphalt verlegten Schienen. Die Straßenbeleuchtung verändert sich und sorgt in den Abendstunden für ein ausgewogenes Lichtbild, großflächige Schaufensterfronten prägen die Geschäftshäuser und laden beim Bummel und dem sonntäglichen Flanieren zum Betrachten der angebotenen Ware ein. Aufenthaltsorte wie Sitzgelegenheiten oder kleine Mäuerchen werden geschaffen, mit der Baumbepflanzung wird die Einkaufsstraße zunehmend grüner.
Auch heute bleiben bei einem Stadtbummel die Zeugnisse der Vergangenheit sichtbar, wie die Fassade der barocken Franziskanerkirche mit ihrem einladenden Treppenaufgang und dem davor platzierten Kump, das in den 1920er Jahre erbaute Kaufhaus Klingenthal, die neugotische Herz-Jesu-Kirche vor dem Westerntor, das Heising´sche Haus am Marienplatz und natürlich immer wieder das in den Jahren 1613 bis 1620 erbaute Rathaus mit der eindrucksvollen Fassade.
Wieder in 2021 angekommen, möchte ich Sie ermuntern: Es lohnt sich auch heute, Bilder und Impressionen zu versenden, die den Charme unserer „kleinen Großstadt“ deutlich werden lassen, die das Miteinander von Geschichte und Moderne zeigen und die Vielfalt der beruhigten Fußgängerzone mit ihren historischen Bauten zeigen - als Foto via Smartphone oder vielleicht ja auch mal wieder als Postkarte? Probieren Sie es aus, der Empfänger wird sich freuen wenn er liest „Viele Grüße aus Paderborn, schön hier…!“
#17 Von Mauern, Menschen und Abenteuern, Teil 1
Manchmal fehlt uns im Alltag die Zeit um zu verreisen und in der Ferne nach neuen Abenteuern und Geschichten zu suchen. Nicht immer muss man in die weite Welt hinaus, denn einige Neuentdeckungen liegen direkt vor unserer Tür! Sie zu finden kann ein spannendes Unternehmen sein, wie zum Beispiel die Entdeckung unserer mittelalterlichen Stadtmauer. Ich habe mich auf den Weg gemacht und bin beobachtend rund um den alten Stadtkern Paderborns spaziert und habe sie gefunden. Heute ist die historische Befestigung nur noch unvollständig erhalten, sie findet sich vielfach in Abschnitten am Wegesrand oder ist in die moderne Wohnbebauung integriert.
Die seltenen Monumente aus Stein erzählen auch heute noch von vergangenen Zeiten, Kriegen und Kämpfen sowie von den Menschen, die sie gebaut, mit und ihr gelebt haben. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war das mittelalterliche Paderborn von der Stadt-oder auch Schutzmauer mit ihren zahlreichen Toren, Wach- und Wehrtürmen umgeben, in seinen Verlauf blieb der Mauerring bis heute größtenteils unverändert.
Im 12. Jahrhundert umfasste die Stadtbefestigung, neben den Stadt- und Wohnhäusern, die Domburg mit ihrer Pfalz, den Dom, das Domkloster, den Bischofspalast, die Bartholomäuskapelle, sowie den Abdinghof- und den Busdorfstift. Die mittelalterliche Befestigungsanlage bestand aus zahlreichen Türmen und insgesamt fünf bewachten Stadttoren. Nur hier wurde man eingelassen: am Kasseler Tor, (ursprünglich Spiringstor), am Heiersstor (früher Hirten-, heute das Detmoldertor), durch das Westerntor, früher auch als „Porta Occidentalis“, das „westliche Tor“ bezeichnet, und durch das Gierstor. Ebenso gelangte man durch das Neuhäuser Tor, das erst im 13. Jahrhundert dazu kam, in die Stadt.
Idyllisch sah es um Paderborn herum aus, Felder, Wiesen und Bäume soweit das Auge reichte. Hier wurden die Felder bestellt, das Leben aber spielte sich innerhalb der Stadtmauer ab. Mehr als 600 Jahre bot sie den Bewohnern Schutz vor Angreifern und Feinden. Ihr Baubeginn ist um 1100 datiert, im Jahr 1183 wird sie erstmals urkundlich erwähnt. Sie ist eine Gemeinschaftsarbeit vieler Generationen, wurde ausgebessert, instandgehalten, verteidigt und ab Mitte des 19. Jahrhunderts, nachdem sie ihre wichtige Schutzfunktion verloren hatte, nach und nach abgetragen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatte sie zwar ihre militärische Funktion verloren, musste aber weiterhin erhalten bleiben. Der Grund dafür war eine im Jahr 1820 eingeführte „Mahl- und Schlachtsteuer“, eine Verbrauchssteuer, die an den Stadttoren erhoben wurde. Neben den städtischen Pförtnern wachten zusätzlich staatliche Steuerbeamte und kontrollierten die Einfuhren in die Stadt. Waren das noch Zeiten!
Was es noch auf dem Weg vom Westerntor zum Neuhäuser Tor und bis zum Kasseler Tor zu entdecken gibt, welche historischen Gebäude und Menschen sich im Verlauf des Stadtmauerweges finden, Bewohner*innen, die von ihren eigenen kleinen Stadt- und Lebensgeschichten erzählen - davon berichte ich Ihnen in der nächsten Kolumne, denn: „Geschichte ist lebendig, Geschichte sind wir! Geschichte, die man erlebt, ist etwas anderes als Geschichte, von der man in Büchern oder auf Bildschirmen liest“, sagt Matt Haig in seinem Roman „Wie man die Zeit anhält“. So sehe ich das auch. Manchmal ist es gut, die Zeit anzuhalten, einfach loszugehen und die kleinen Abenteuer in unserer Stadt zu entdecken – probieren Sie es mal aus! Dabei wünsche ich Ihnen spannende und viele neue Entdeckungen.
#18 Von Mauern, Menschen und Abenteuern, Teil 2
Es ist Ende Februar, ein Tag, an dem die Sonne scheint und die Stadt früh morgens in einem anderen Licht erscheinen lässt. Im vergangenen Dezember hatte ich mich auf eine Entdeckungsreise am Weg der historischen Stadtmauer entlang begeben, dort, wo sie über 600 Jahre lang den Bürgerinnen und Bürgern Schutz geboten hatte. Viele Geschichten und Erinnerungen offenbaren sich auch heute noch in den erhaltenen Fragmenten des Bauwerks.
Heute begleitet mich Thomas Günther von der Unteren Denkmalbehörde der Stadt Paderborn. Thomas ist durch seine Aufgabe als Denkmalpfleger bestens mit dem Bau und der Geschichte der Stadtmauer vertraut. „Die Paderborner Stadtmauer ist heute nicht nur auf historischen Stichen zu sehen, sondern in authentischen Resten erhalten und immer wieder im Stadtzentrum sichtbar“, erzählt er begeistert. „Insbesondere ist sie mit zahlreichen Bestandteilen der ehemaligen Festungsanlage noch immer im Stadtgrundriss und im aufgehenden Mauerwerk existent, dabei bilden die überkommenen Fragmente der mittelalterlichen Stadtmauer im heutigen Stadtbild besondere Merkmale“, weiß Günther zu berichten.
Die Überreste der Stadtbefestigung, so erfahre ich weiter von ihm, zu denen ursprünglich ein Stadtgraben, die Stadtmauer mit zahlreichen Wehrtürmen sowie besonders ausgebaute Stadttore und Wallanlagen zählten, zeugen von einer der umfangreichsten im Hochmittelalter ausgeführten Baumaßnahmen und von der einstigen Wehrhaftigkeit Paderborns, welche sowohl Ausdruck des bischöflichen Machtanspruches als auch einer erstarkenden Bürgergemeinde und ihres Selbstbewusstseins war. Die Befestigung bot den Bewohnern der Stadt rund sechs Jahrhunderte lang Schutz vor Feinden und wurde von vielen Generationen auf- und ausgebaut, verbessert, instandgehalten und auch verteidigt. „Das gab ihnen nicht nur Sicherheit, sondern stärkte auch ihren bürgerlichen Gemeinsinn“, erzählt Günther.
Wir beobachten den Verkehr an der neuen Zentralen Omnibusstation an der Westernmauer, die hier gerade entsteht. Bei Ausgrabungsarbeiten wurden hier 2019 von der Stadtarchäologin Dr. Sveva Gai und ihrem Team der Verlauf der Stadtmauer auf einem über 100 Meter langen Abschnitt lokalisiert und dokumentiert. Hier war sie an ihrer Basis über zwei Meter breit und in ihrer sogenannten Zweischalentechnik errichtet: Die beiden Außenseiten bestehen dabei aus Kalksteinblöcken, der Innenraum ist mit kleineren Bruchsteinen gefüllt.
Wir überqueren das Neuhäuser Tor und erreichen die Spitalmauer. Hier lässt sich der Erhalt eines Abschnittes der Stadtmauer besonders gut beobachten. Ich frage Thomas warum und ab wann die Stadtmauer ihre Aufgabe verloren hatte. „Im 17. Jahrhundert verlor die Stadtbefestigung zunächst ihre Funktion als Verteidigungsbauwerk, später im 19. Jahrhundert dann auch die der Stadt- und Zollgrenze. Mauerdurchbrüche, der Abbruch der Tore und vieler Türme im letzten Drittel des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, gefolgt von gesteigerter Bautätigkeit seit der Nachkriegszeit, führten letztlich zu erheblichen Substanzverlusten an der Stadtmauer. Doch den Verlusten zum Trotz kann Paderborn Dank seiner Stadtmauerreste noch heute als mittelalterliche Stadt identifiziert werden.“
Auf dem Weg weiter am Wall entlang erklärt mir der Denkmalpfleger weiter aufschlussreich, wie man sich den Bau dieser monumentalen Mauer vorzustellen hat. „Die Bauleute des Mittelalters hoben zunächst den Stadtgraben als erste Schutzmaßnahme aus, bevor die Mauer begonnen und nach und nach vollständig errichtet wurde. Der Graben wurde bis zu sieben Metern Tiefe ausgehoben. Bereits nach vier Metern stieß man in den südlichen Grabenbereichen auf anstehenden Fels, aus dem ausreichend solide Steine für die Stadtmauer herausgebrochen werden konnten. Mit den Bruchresten wurde Kalk gebrannt und der mit Sand gemischte Kalkmörtel produziert. Diese Vorgehensweise ermöglichte nach dem Ausheben des Grabens ein sich unmittelbar anschließendes oder auch zeitgleiches Errichten der Stadtmauer.“
Um die Stadtmauer besser verteidigen zu können, wurden im gesamten Mauerverlauf zwischen den Stadttoren Rundtürme sowie Türme auf halbrundem oder rechteckigem Grundriss errichtet, die in den Stadtgraben hineinragten. Kurz hinter der ehemaligen Stümpel‘schen Mühle gelangen wir zu den renovierten Wehrtürmen entlang des Weges „Heiersmauer“, die uns den weiteren Weg zum Detmolder Tor bis hin zur Busdorfmauer mit ihren charakteristischen Fachwerkbauten aus dem 19. Jahrhundert, weisen. Hier endet unser kleiner Spaziergang.
An den hochaufragenden und eindrucksvollen Mauerresten, hintern denen die Türme der Busdorfkirche aufragen, betrachten wir ein hier eingelassenes Kunstwerk des Paderborner Bildhauers Josef Rikus (1923-1989), das als Mahnmal direkt in die Stadtmauer integriert worden ist. Es zeigt einen Engel aus Muschelkalkstein auf zwei tragenden Säulen und erinnert an die Opfer der Bomben in Paderborn 1945 sowie an alle Opfer der beiden Weltkriege. Irgendwie schließt sich hier der Kreis zwischen Bau und Zerstörung unserer mittelalterlichen Stadtmauer, die heute noch in Teilen bewundert werden kann dank der Stadt Paderborn, der privaten Anrainer und nicht zuletzt der umsichtigen Denkmalpfleger.
#19 Das stille Licht der Stadt
In diesen Tagen kehrt das Licht in den frühen Morgenstunden stets ein wenig früher zurück, der Frühling ist in Sicht! Schön zu beobachten sind dann die zahlreichen Lichtstimmungen, die die Straßen und Gebäude für einen kurzen Augenblick im Sonnenaufgang malerisch erscheinen lassen. Die Stadt erscheint für einen kurzen Moment in einem „anderen Licht“, poetisch, manchmal melancholisch, stets sich still am Beginn eines neuen Tages beschreibend. Das Licht besitzt ein großes Spektrum an Spielarten, das in der frühen Dämmerung die Phänomene unserer Stadt kaleidoskopartig beschreiben kann. Es findet sich zwischen verlassenen und belebten Häuserblocks, auf Fassaden von Zweckbauten oder Industriegebäuden, in versteckten Hinterhöfen, in Aus- und Durchblicken geschichtlicher und moderner Architektur sowie in belebten Straßen und Kreuzungen Paderborns.
Dieses ruhige Licht der Stadt erinnert mich an die eindrucksvollen Fotografien von Kalle Noltenhans. Eine Auswahl seiner Paderborn-Bilder aus den 1980er Jahren bis heute konnten wir vor einiger Zeit im Stadtmuseum zeigen.
Wie das der Bahnhofstraße, eine der Hauptverkehrsadern Paderborns. In Noltenhans Fotografie aus den 1990er Jahren geht der Blick vom Westerntor aus in Richtung Hauptbahnhof. Das Bild zeigt den Kontrast zwischen der Straßenbeleuchtung, der Verkehrslichter und den typischen Leuchtreklamen mit dem Sonnenlicht am Horizont. In der Aufnahme offenbart sich dem Betrachter eine überstrahlende Lichtpräsenz des rauschenden Verkehrs sowie der schriftlichen Werbeangebote und Botschaften, die um die Aufmerksamkeit der Stadtbewohner und der Durchreisenden buhlen. Auch der beliebte Blumen- und Obstladen (1980er Jahre), der sich viele Jahre neben dem Hauptbahnhof befand, leuchtet in der Dämmerung und wirbt für grelle Aufmerksamkeit.
Seit 1982 fotografiert Kalle Noltenhans seine Heimatstadt Paderborn. Es sind Bilder der Dämmerung in denen uns eine Stadt entgegentritt, die von ihrer Geschichte und seinen Flaneuren erzählt und sich dem Betrachter in einer stillen Poesie offenbart.
Die Stadt ist dabei ständig „im Fluss“, alles fließt, die Zeit wird weitere Veränderungen im Stadtbild hervorbringen und sich immer wieder neu erfinden – und bleibt dennoch immer die gleiche, früher wie heute. Weitere Bilder von Kalle Noltenhans finden sich unter www.qalle.nrw – oder an jedem Morgen, mitten in Paderborn, bei Sonnenaufgang. Probieren Sie es mal aus, es lohnt sich!
Mehr Bilder aus Paderborn von Kalle Noltenhans
#20 Ein Kreuzgang mitten in der Stadt
Sie ist für mich eine der schönsten Kirchen in Paderborn: die Abdinghofkirche, die sich im Herzen der Stadt, direkt neben dem Stadtmuseum befindet. An diesem Ort trifft historische auf zeitgenössische Architektur und zeugt von über 1000 Jahren Stadtgeschichte.
Der Abdinghofbezirk ist für unsere Stadt ein zentraler Ort. Hier wurde am 14. Februar 1016 die erste provisorische Kirche des neuen Abdinghofklosters geweiht. Kein geringerer als Bischof Meinwerk (um 975-1036) plante hier seine Grablege und stattete das neu gegründete Benediktinerkloster aus. Der „Abdinghof“ war einst der mittelalterliche Wirtschaftshof des Abtes, der Name leitet sich her von „Abbedinchhof“, Hof des Abtes.
Im Stadtmuseum bewahren und zeigen wir zwei (von ursprünglich vier) erhaltene Flügel des mittelalterlichen Kreuzganges: den Südflügel aus dem 12. Jahrhundert sowie den längeren Westflügel, der als Kriegsruine durch einen Nachbau in romanischen Formen in den Jahren 1953 bis 1955 ersetzt worden ist. Von hier aus lässt sich mit einem Blick auf den Klostergarten und die benachbarte Abdinghofkirche die Lebensweise der Mönche eindrucksvoll nachempfinden. Der Kreuzgang war eine Art Lebensader des Benediktinerklosters. Er diente den Mönchen nicht nur als stiller Raum für die Lektüre, des Gebets oder der Kontemplation, sondern auch für profane Tätigkeiten, wie etwa dem Ausbessern der Kleidung oder dem Haareschneiden.
Insbesondere der Südflügel sowie die gotischen Fenster lassen das Mittelalter wieder aufleben, zeugen sie doch von einem repräsentativen Bauwerk des späten 12. Jahrhunderts. Nicht weniger eindrucksvoll sind die mittelalterlichen Gewölbekeller, die als Wirtschaftsräume genutzt wurden, wie das frühere Bierlager des Südflügels. Ein Highlight ist der Remter, der Speisesaal des Klosters, mit einem Kreuzgratgewölbe aus einem Anbau von 1680. Vermutlich diente es den Mönchen als Sommerrefektorium. Derzeit wird es anderweitig genutzt und ist der Öffentlichkeit daher leider nicht zugänglich.
Die Geschichte des Klosters endete nach fast 800 Jahren. Mit Napoleon Bonaparte (1769-1821) kam 1803 die Säkularisation auch nach Westfalen. Wie die meisten Klöster und Stifte in Deutschland wurde auch das Abdinghofkloster aufgelöst, verstaatlicht und ab 1816 militärisch durch preußische Streitkräfte genutzt. Aus Klosteranlagen wurden Kasernen. Mit der Zeit gerieten die Gebäude in einen immer schlechteren Zustand so das Mitte des 19. Jahrhunderts die Türme und die Gewölbe abgebrochen werden mussten. Die evangelische Christengemeinde wuchs mit den Jahren, 1866 übertrug man ihr daher die ehemalige Klosterkirche. Nach Plänen des damaligen Kreisbaumeister Wendt, der die Kirche mit zwei hohen Spitztürmen versah, wurde sie am 25. April 1871 wieder seiner alten Bestimmung zugeführt. Nach der Zerstörung durch die Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg wurde die Abdinghofkirche erneut aufgebaut und erhielt die heutigen markanten Satteldächer, so, wie sie heute vom Paderquellgebiet im Zusammenspiel mit der benachbarten Fassade des Stadtmuseums zu sehen sind.