Vom Schicksal jüdischer Familien zur NS-Zeit

„Erinnern und Gedenken“ in Paderborn: Zwei weitere Infotafeln geben Einblicke

© Stadt PaderbornMonika Schrader-Bewermeier (3. v. r.), katholische Vorsitzende der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, führte die interessierte Gruppe zu den beiden Informationstafeln und nannte spannende Details. Mit dabei waren auch Paderborns stellvertretender Bürgermeister Dieter Honervogt (r.) sowie Andreas Gaidt und Wilhelm Grabe (hinten 3. u. 4. v. l.) vom Stadt- und Kreisarchiv. Im Hintergrund ist ein Teil des Hauses Westernstraße 2 zu sehen, in dem sich heute die Thalia-Buchhandlung befindet.

Donnerstag, 13. Juni 2024 | Stadt Paderborn - Zwei neue Tafeln aus der Reihe „Erinnern und Gedenken“ informieren seit kurzem über einen weiteren Teil jüdischer Geschichte in Paderborn. Die vor dem Haus in der Bachstraße 9 sowie am Marienplatz/Westernstraße 2 aufgestellten Tafeln wurden nun der Öffentlichkeit vorgestellt. „Ich freue mich sehr, dass wir die Tafeln, die Informationen in Bild und Text bereithalten, im Stadtgebiet im Laufe der Zeit erweitern konnten“, sagte Monika Schrader-Bewermeier, katholische Vorsitzende der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (GCJZ) in Paderborn. Die GCJZ hat die Informationstafeln zur jüdischen Geschichte initiiert – realisiert wurden sie vom Stadt- und Kreisarchiv Paderborn, dem Monika Schrader-Bewermeier ihren Dank aussprach. „Hinter der Veröffentlichung einer neuen Tafel steckt jede Menge Arbeit“, machte sie deutlich. Auch stellvertretender Bürgermeister Dieter Honervogt bedankte sich bei allen Beteiligten und lobte das Projekt.

Das Haus in der Westernstraße 2 soll sich bereits 1825 im Besitz des Kaufmanns Levi Herzheim befunden haben. Dessen Sohn Hermann ließ Ende des 19. Jahrhunderts einen Geschäftsneubau errichten. 1925 feierte das Kaufhaus Herzheim, das größte Haus am Platze, 100-jähriges Bestehen. In der Zeit des Nationalsozialismus musste das Geschäft von Karl-Theo (vierte Generation) im Mai 1938 zwangsweise und deutlich unter Wert verkauft werden. Karl-Theo und seiner Frau Hilde Grünewald aus Neuhaus gelang es, 1940 illegal nach Palästina zu fliehen, somit der Deportation zu entgehen und die Shoah zu überleben. Mit seiner zweiten Frau Edith und Sohn Moshe kehrte Karl-Theo 1950 an die Pader zurück und wurde Gründungsmitglied der 1953 wiedererstandenen Jüdischen Kultusgemeinde. 1961 zog es Karl-Theo nach Berlin, wo er 1966 starb.
Das ehemalige Kaufhaus Herzheim wurde im Zweiten Weltkrieg größtenteils zerstört. 1954 übernahm das Kaufhaus Küster die benachbarten Grundstücke Westernstraße 2 und Marienplatz 20 und errichtete einen Neubau, der 2005 abgerissen und durch das heutige Gebäude ersetzt wurde. Es beherbergt heute die Thalia-Buchhandlung.

Die Bachstraße zählte vor 1945 zu den weniger gutbeleumdeten Gegenden Paderborns. Das Schicksal der Familien Schönewald und Kosses, die in der Bachstraße 9 lebten, ist bezeichnend für das vieler jüdischer Familien in Paderborn während der NS-Zeit. 1907 erwarb der Handelsmann Jakob Schönewald das dreistöckige Wohn- und Geschäftshaus, das er an Sohn Dagobert vererbte. Bereits Ende 1938 musste das Haus verkauft werden. Die vierköpfige Familie Schönewald setzte alle Hebel in Bewegung, Deutschland zu verlassen – erfolglos. Im Dezember 1941 wurde die Familie nach Riga deportiert und einzig Dagoberts Ehefrau Selma Schönewald überlebte.

Der Kaufmann Albert Kosses lebte seit Ende 1918 in der Bachstraße 9. Er heiratete Bertha Schönewald, die Tochter seines Vermieters, mit der er vier Kinder hatte. Bertha Kosses tat alles, um ihre vier Kinder aus Deutschland herauszubekommen. Lieselotte gelangte im Juni 1939 mit einem Kindertransport nach England. Hilde gelang die illegale Flucht nach Palästina. Hans wurde Anfang 1943 verhaftet und nach Auschwitz deportiert. 1945 befreiten ihn die amerikanischen Truppen in einem Außenlager des Konzentrationslagers Mauthausen. Der Rest der Familie wurde im Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert. Zwei Jahre später, in Auschwitz, verliert sich die Spur.

Das Haus Bachstraße 9 fiel am 27. März 1945 den Bomben zum Opfer und wurde nach Kriegsende wiederaufgebaut. Von den früheren Bewohner*innen, die die Shoah überlebt hatten, kehrte niemand nach Paderborn zurück.

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